Impfschäden müssen schneller anerkannt werden, fordert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Für die Betroffenen ein längst überfälliger Schritt.
Im März 2021, vor genau zwei Jahren, als in Deutschland die Infektionszahlen von Corona rasant steigen, die Friseure trotzdem wieder öffnen dürfen und die Impfkampagne stottert, kann Sascha Schwartz seinen Impftermin kaum erwarten. Wie so viele Deutsche will er mit dem Piks ein Stück Freiheit zurück und seinen kleinen Beitrag dazu leisten, die Pandemie in den Griff zu bekommen. 30 Jahre ist er zu dem Zeitpunkt alt, und er beschreibt den Sascha Schwartz von damals so: sportlich und aktiv, stets gut gelaunt, ein Mensch, der gerne auf möglichst vielen Hochzeiten tanzt.
Bis zum 25. März 2021 und der Impfung mit Astra Zeneca. Seitdem ist für Sascha Schwartz nichts mehr so, wie es vorher war. Er sagt: “Ich habe noch niemals so eine krasse Hilflosigkeit und Ohnmacht empfunden wie die letzten zwei Jahren. Ich fühle mich gefangen im eigenen Körper und habe das Gefühl, nicht mehr zu existieren.”
Was am selben Tag mit hohem Fieber, Schwindel und Kopfschmerzen beginnt, weitet sich zu einer unendlichen Leidensgeschichte aus. Der Kölner hat eine Liste gemacht, auf sage und schreibe 96 Symptome kommt er in den zwei Jahren. Das Schlimmste sei der “Brainfog”, der Gehirnnebel, der ihm jegliche Konzentration raubt. Ein Buch zu lesen sei für ihn seitdem undenkbar. “Man schaltet wie auf Autopilot. Dieses Gefühl der Lebendigkeit ist verloren gegangen. Es wirkt alles so wie im Dämmerzustand, als ob die Reize nicht mehr im Gehirn ankommen und man Strom im Kopf hätte.”
Eine zweite Impfung im Juni 2021 mit dem Impfstoff von BioNTech und der Hoffnung, dadurch die Symptome zu regulieren, macht die Sache nur noch schlimmer. Als Schwartz, der sich beruflich um psychisch kranke und behinderte Menschen kümmert, kurze Zeit später mit diesen einen Ausflug in einen Freizeitpark unternimmt, bricht er angesichts der Reizüberflutung zusammen. Danach liegt Schwartz vollkommen erschöpft wochenlang im Bett und ist seitdem krankgeschrieben. Eine Besichtigung seiner Wohngemeinschaft muss er im Liegen machen, zusammengekauert auf dem Boden im Flur.
“Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich einen Immunologen gefunden habe, der mich und meine Beschwerden ernst nimmt, und da bin ich im Wartezimmer erst einmal in Tränen ausgebrochen”, sagt Schwartz. “Vorher hieß es immer, das ist psychosomatisch bei Ihnen, die Impfung ist sicher, das kann nicht sein, auch wenn ich den Zusammenhang geschildert habe und dass ich weder depressiv noch sonst irgendwas bin.”
Paul-Ehrlich-Institut nennt Zahlen von Verdachtsfällen
Schwartz sieht sich als Post-Vac-(“nach der Impfung”)Geschädigten. Ein Impfschaden ist laut Infektionsschutzgesetz “die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung”. Auf Anfrage der DW nennt das Paul-Ehrlich-Institut, das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, diese Zahlen:
Insgesamt wurden dem Institut seit Beginn der Impfkampagne bis einschließlich 31.10.2022 nach Grundimmunisierung plus Booster-Impfungen 333.492 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen sowie 50.833 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen berichtet. Die Melderate betrug für alle Einzel-Verdachtsfallmeldungen 1,78 pro 1000 Impfdosen, für schwerwiegende Einzel-Verdachtsfallmeldungen 0,27 pro 1000 Impfdosen.
Auch Schwartz gehört dazu. Die Universitätsklinik Marburg, die eine Post-Vac-Ambulanz eingerichtet hat, diagnostiziert bei ihm schließlich eine Hyperinflammation des Immunsystems als Folge der Impfung. Es ist die lang ersehnte Eintrittskarte, um endlich aus der Stigmatisierung herauszukommen, die Beschwerden seien ja nur psychosomatisch. Doch bis heute schlägt keine Therapie an, zwölf Wochen in der Psychiatrie bleiben ebenso erfolglos wie eine Rehabilitation, die auf Aktivierung setzt.
“Neulich habe ich mein Fahrrad in einen Supermarkt hineingeschoben, solche verrückten Sachen. In schlimmen Phasen kann ich einfach nur im Bett bleiben und die Decke anstarren. Mein Körper gibt mir morgens, wenn ich wach werde, vor, wie mein Tag aussehen wird”, so Schwartz. “Ich mache zwar jetzt einen Französisch-Kurs einmal die Woche, aber danach muss ich mich erst einmal hinlegen.”
Selbsthilfegruppe mit Dutzenden Betroffenen
Schwartz will sich nicht in sein Schicksal fügen, er hat für Köln und Umgebung eine Selbsthilfegruppe für Menschen gegründet, die nach einer Corona-Impfung schwere gesundheitliche Probleme bekommen haben. Auf 70 Personen ist die Gruppe mittlerweile angewachsen, jeden dritten Mittwoch im Monat treffen sich die Betroffenen und tauschen sich aus. Die, die kommen können. Denn für viele sei dies unmöglich, sie lägen im Bett, schildert Sascha Schwartz.
Doch in der Gesellschaft gebe es immer noch ein großes Unverständnis für Post-Vac-Patienten. “Wenn wir etwas öffentlich posten, erhalten wir sehr viele Hass-Nachrichten, so nach dem Motto: ‘Selbst schuld, Ihr habt Euch ja impfen lassen, damit müsst Ihr rechnen.’ Oder: ‘Was Ihr schreibt, stimmt ja gar nicht‘”, sagt Schwartz, “man wird sehr häufig in die Querdenker-Schublade gesteckt, das ist Wahnsinn!”
In diesen Tagen läuft sein Krankengeldanspruch aus, bald muss Schwartz von Arbeitslosengeld leben. Vom Staat hat er bisher keinen Cent Entschädigung erhalten. Weil er über den Arbeitgeber geimpft wurde, steht Schwartz mit der Berufsgenossenschaft in Kontakt. 4000 Euro Schulden hat Sascha Schwartz in den zwei Jahren angehäuft. Den Antrag auf eine Blutwäsche, für die er eine ärztliche Empfehlung besitzt, hat die Krankenkasse abgelehnt. Sie würde 15.000 Euro kosten.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will jetzt Menschen mit Langzeitfolgen einer Corona-Infektion oder – Impfung besser helfen, Impfschäden müssten schneller anerkannt werden. Er und sein Ministerium würden mit einem Programm die Folgen von Long Covid und Post-Vac, also Impfschäden, untersuchen und die Versorgung der Betroffenen verbessern. Wer sich darauf nicht verlassen will, landet möglicherweise bei Tobias Ulbrich.
Erste Zivilklagen von Impfgeschädigten
Seine Düsseldorfer Kanzlei hat sich auf die rechtliche Aufarbeitung von Impfschäden und deren Folgen spezialisiert. Der Rechtsanwalt vertritt 750 Menschen und hat 130 Klagen gegen BioNTech und Moderna eingereicht. Ulbrich moniert, dass die Bundesregierung die Bevölkerung über die Nebenwirkungen nur unzureichend aufgeklärt habe und schwere Nebenwirkungen in der Öffentlichkeit bewusst verharmlose. Zielscheibe der Kritik: Gesundheitsminister Karl Lauterbach. “Wir haben einen Bundesminister, der geraume Zeit die Impfung als nebenwirkungsfrei tituliert hat.”
Am 28. April wird in Frankfurt am Main der erste Zivilprozess gegen BioNtech verhandelt – eine 57-jährige Frau klagt auf Schadensersatz. Sie behauptet, durch die Impfung einen Herzschaden erlitten zu haben. Weitere Gerichtsverfahren in Frankenthal, Düsseldorf und München folgen. Bei Tobias Ulbrich steht das Telefon nicht still, über 3.000 Erstberatungen haben er und sein Team schon gegeben.
“Zivilrechtliche Ansprüche laufen bei uns grundsätzlich gegen den Hersteller. Und letztendlich ist es dann der Hersteller, der wieder die Haftungsbefreiung, also die Rückzahlung durch die Bundesrepublik Deutschland begehren kann. Rein wirtschaftlich betrachtet haben wir damit die Bundesrepublik Deutschland als Gegner und auf dem Papier dann den Impfhersteller.”
Hintergrund: Im Vertrag mit der EU-Kommission wurden die Impfstoffhersteller von jeglicher Haftung befreit, darin heißt es: “Daher entschädigt jeder teilnehmende Mitgliedsstaat den Auftragnehmer und hält ihn schadlos in Bezug auf alle entstandenen Verbindlichkeiten.” Das heißt, Deutschland verpflichtet sich, Gerichts- und Anwaltskosten, Schadensersatz und Schmerzensgeld für Impfgeschädigte zu leisten- und nicht etwa Moderna oder BioNTech.
Ulbrich ist guter Dinge, dass seine Mandanten vor Gericht Recht bekommen, um damit auch die horrenden Arztkosten zu begleichen. “Wir prüfen sehr sorgfältig die Erfolgsaussichten der Klage, bevor wir uns der Geltendmachung widmen. Vor dem Hintergrund hoffe ich, dass die Richter zu keinen anderen Ergebnissen kommen können als wir auch.”
“Post-Vac-Patienten werden nicht ernst genommen”
Wer wissen will, wie es um die Menschen mit dem Post-Vac-Syndrom in Deutschland zurzeit steht, muss mit Jördis Frommhold sprechen. Die Ärztin für Innere Medizin und Pneumologie ist die deutsche Koryphäe für Long-Covid-Erkrankungen, sie hat schon Tausende Betroffene seit Beginn der Pandemie vor drei Jahren behandelt.
Jetzt kommen auch immer mehr Patienten mit Nebenwirkungen nach der Impfung zu ihr. Gerade erst hat sie einen 35-jährigen Mann verarztet, der nach der zweiten Impfung über Atembeschwerden und völlige Erschöpfung klagt. Frommhold sagt: “Die Patienten mit Post-Vac-Syndrom werden wirklich ständig in diese Ecke als Verweigerer und als Verschwörungstheoretiker geschoben. Sie werden überhaupt nicht ernst genommen.”
Die Medizinerin beobachtet, dass auch Kinder und Jugendliche betroffen sind, eine Zwölfjährige in ihrer Behandlung habe nach einer Nachimpfung massive kognitive Einschränkungen entwickelt. Letztlich wiederhole sich in Deutschland gerade die Geschichte: Die Akzeptanz für die Betroffenen sei kaum vorhanden – wie am Anfang bei den Long-Covid-Patientinnen und -Patienten.
“Es ist schade, dass wir nicht daraus gelernt haben. Dass man nicht bei allem, was man vielleicht auf den ersten Blick noch nicht ganz genau versteht, sagt: ‘Das gibt es nicht’. Das ist sicherlich der falsche Ansatz”, sagt Frommhold. “Wenn Menschen morgens um 9 Uhr eine Impfung mit dem adaptierten Omikron-Impfstoff bekommen und abends um 20 Uhr feuerrote, entzündete Ohren haben, dann gesagt bekommen: ‘Das kann nicht sein, das hängt nicht zusammen’.”
Dabei sei es keineswegs so, dass ihre Post-Vac-Patienten mit der Entscheidung für eine Impfung haderten. Die meisten sagten ihr, sie hätten die Spritze gewollt und frei entschieden. Aber: Deutschland habe damals zu Zeiten der Impfkampagne eingefordert, sich solidarisch mit den Schwächsten der Gesellschaft zu zeigen. Solidarität, die jetzt für die Impfgeschädigten fehle. Viele sagten ihr, so Frommhold: “Ich möchte bitte jetzt auch mit meinem Problem anerkannt werden und Hilfe bekommen wie jeder andere auch.”
Hätte Deutschland im Nachhinein vielleicht eine andere Impf-Strategie fahren müssen? Nein, betont Jördis Frommhold, das oberste Ziel sei gewesen, die Corona-Pandemie zu einem Ende zu bringen und auch die schwersten Verläufe zu verhindern. Man dürfe nicht vergessen, dass die Intensivstationen voll gewesen seien und viele Todesfälle hätten verhindert werden können, es also wichtig gewesen sei, dass sich viele Menschen hätten impfen lassen. Nach jeder Impfung habe man aber leider auch das Risiko von Impfnebenwirkungen.
“Das ist jetzt keine Besonderheit. Wenn wir jetzt einfach sehr, sehr viele verimpfte Dosen haben, dann haben wir auch, selbst wenn die prozentualen Anteile niedrig sind, eine hohe absolute Zahl von Patienten mit Impfnebenwirkungen. Man muss sich aber um diese Menschen kümmern.”
Source : Deutsche Welle