Die Deutsche Linda Wendt kämpft für ein Leben mit ihrem Ehemann Moro Diop. Ohne bestandenen Sprachtest darf er nicht aus dem Senegal zu ihr ziehen. Kein Einzelfall.
4755 Kilometer liegen im Alltag zwischen Linda Wendt und Moro Diop (Name geändert), zwischen Deutschland und dem Senegal. “Liebe auf Distanz ist sehr hart. Ich vermisse meine Frau jede Sekunde – morgens, mittags, abends”, sagt Moro Diop.
2020 macht Linda Wendt Urlaub am Meer in Mbour im Westen Senegals, wo Moro Diop lebt. “Wir haben uns gesehen, wir haben uns unsterblich verliebt”, sagt er im gemeinsamen Zoom-Interview. Sie schauen sich an und lächeln.
Praktikum im Senegal, Flüge in den Semesterferien – Studentin Linda kehrt zurück, so oft sie kann. Sie wollen heiraten und zusammenleben. Da beginnen die Probleme.
Heirat, kein Happy End
Voraussetzung für ein Visum zum Ehegattennachzug nach Deutschland sind seit 2007 “einfache Sprachkennnisse”, ein Deutschtest des Niveaus A1: Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben. Moro Diop spricht Französisch und Wolof, arbeitet seit Jahren als Handwerker. Anfang 2022 setzt er seine Arbeit aus und zieht für die Monate des Deutschkurses beim Goethe-Institut in die Hauptstadt Dakar.
Linda Wendt arbeitet neben dem Studium, finanziert seine Kurse, Unterkunft, Lernmaterial, Privatunterricht und WLAN-Anschluss. Beide sparen beim Essen. Sie listet alle Ausgaben nur fürs Deutschlernen auf: Es sind rund 6000 Euro.
In Mbour geben sie sich im Jahr 2022 das Ja-Wort, feiern mit ihren Familien und vielen Gästen. Er trägt ein Schulterband in den Farben der deutschen Flagge, sie eins in den senegalesischen Farben. Happy End? Nein. Sie teilen ihren Alltag über Messenger und Video-Chats – “wie hinter einer Glasscheibe”, sagt Moro Diop.
Extreme Stresssituation
Moro Diop paukt seit 14 Monaten deutsche Vokabeln und Grammatik. Gerade macht er einen Online-Deutschkurs beim Goethe-Institut. Zwei Tage in der Woche fährt er zudem zu einem Privatlehrer an der Universität Dakar: viermal 90 Kilometer mit dem Sammeltaxi, ein Weg dauert zwei bis drei Stunden, bei Stau noch länger. Wochenlang lernt er jeden Abend zwei bis drei Stunden mit seiner Frau im Videochat.
Die Prüfungen seien anspruchsvoller als der Unterricht, sagt der Ehemann. Dreimal ist er durchgefallen. 27, 37, 40 – er erreicht jedes Mal mehr Punkte, aber nicht die nötigen 60. Der Deutschtest sei für ihn eine extreme Stresssituation, berichtet seine Frau.
Hohe Durchfallquote bei Sprachtests
Das Goethe-Institut schreibt zum A1-Test: “In der schriftlichen Prüfung hören Sie kurze Alltagsgespräche, private Telefonnachrichten oder öffentliche Lautsprecherdurchsagen und bearbeiten Aufgaben dazu. … Sie füllen einfache Formulare aus und schreiben einen kurzen persönlichen Text zu einer alltäglichen Situation.”
Wer nicht in Deutschland lebt, kennt den Alltag nicht, kann Fragen dazu schwer beantworten. Viele scheitern. 2021 fielen im Senegal drei Viertel der Teilnehmer beim A1-Sprachtest am Goethe-Institut durch, das schlechteste Ergebnis unter den 30 wichtigsten Herkunftsstaaten. 2022 fielen mehr als 50 Prozent durch. Nur in Äthiopien, Mexiko und Ghana waren es diesmal mehr.
Koalitionsvertrag: Sprachtest nach Einreise
“Mehr als 10.000 Ehegatten bestehen jedes Jahr die geforderten Sprachprüfungen im Ausland nicht und können deshalb nicht mit ihren in Deutschland lebenden Partnerinnen und Partnern zusammenkommen.” Mit Zahlen der Regierung begründet die oppositionelle Linkspartei 2022 einen Gesetzentwurf, damit der Sprachnachweis nach der Einreise erfolgen kann. Deutsch lerne man am besten in Deutschland.
2022 fallen über 12.000 Teilnehmende, mehr als jeder Dritte aus den 30 wichtigsten Herkunftsländern durch die A1-Prüfung. Kein Sprachtest, kein Visum. Wie das Auswärtige Amt der DW mitteilt, wurden in den vergangenen Jahren jeweils 8000 bis 10.000 Visumanträge zum Ehegattennachzug abgelehnt oder zurückgezogen, Gründe werden nicht erfasst. Paare wie Linda und Moro haben wegen des fehlenden Sprachtests noch keinen Antrag gestellt.
Der Gesetzentwurf der Linkspartei scheitert. Dabei steht im Koalitionsvertrag der regierenden Ampelparteien aus Sozialdemokraten (SPD), Bündnis 90/Grünen und der liberalen FDP: “Zum Ehepartner oder zur Ehepartnerin nachziehende Personen können den erforderlichen Sprachnachweis auch erst unverzüglich nach ihrer Ankunft erbringen.” Die Umsetzung solle “zeitnah” erfolgen, schreibt das Bundesinnenministerium der DW Anfang 2023.
Im Dezember hat die Ampel zwar eine Erleichterung beschlossen, aber nur für Fachkräfte. Ihre Ehepartner können ohne Sprachtest einreisen.
Die Bundestagsabgeordnete Gülistan Yüksel setzt sich in der SPD-Fraktion für den Familiennachzug ein. Im Parlament sagt sie, im nächsten Gesetzespaket werde man den Ehegattennachzug grundsätzlich erleichtern: “Seit Jahren erreichen mich Zuschriften von Menschen, die aufgrund des Sprachnachweises von ihrem Ehepartner oder ihrer Ehepartnerin getrennt leben müssen – und das teilweise jahrelang. Ich glaube, niemand hier im Raum möchte das selbst erleben.”
Binationale Familien: “Ich weine jeden Tag”
Swenja Gerhard, Juristin und Beraterin beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften, bestätigt die Not vieler Paare: “Da scheitert so manche Beziehung und manche Person daran.” Der Verband hat in einem Aufruf mit zahlreichen Unterstützern gefordert, den Sprachtest vor der Einreise aufzuheben. Es gibt 174 Visumstellen weltweit. In 67 Ländern aber gebe es keine Möglichkeit, den zertifizierten Test zu machen.
Betroffene Paare schildern Erfahrungen mit teuren, erfolglosen Deutschkursen und bürokratischen Hindernissen in den Botschaften. “Warum werden Familien so unterdrückt, ich weine jeden Tag”, schreibt ein Mann, dessen Frau in Kuwait lebt. Eine Psychologin, deren Mann aus Ägypten die Einreise verwehrt bleibt, überlegt jetzt, Deutschland zu verlassen. Ein Mann aus Kuba muss 900 Kilometer weit reisen, um die Deutschprüfung abzulegen.
Keine Belege für Wirkung gegen Zwangsehen
Linda Wendt hat mehr als 20 Bundestagsabgeordneten der Ampelparteien ihre Situation geschildert: “Sowohl mein Mann als auch ich stehen deswegen psychisch unter enormem Stress.” Mehrere SPD- und Grünen-Abgeordnete antworten mit Bedauern, versprechen die Änderung, erst Ende 2022, dann Anfang 2023.
“Aber nichts ist passiert”, stellt Wendt ernüchtert fest und fragt sich, ob es überhaupt noch dazu kommt. Zuletzt schreibt ihr ein Abgeordneter, das Migrationspaket II, in dem der Familiennachzug neu geregelt werden soll, sei ins 2. Halbjahr verschoben.
Von der FDP antwortet nur Martin Gassner-Herz aus dem Familienausschuss. Er verweist auf die Vorbeugung von “Zwangsverheiratung, Scheinehe bzw. arrangierten Ehen” als Grund für die Einführung des Sprachtests. So hatte 2007 die konservative CDU/CSU argumentiert. Der Ehepartner aus dem Ausland sollte in die Lage versetzt werden, unabhängig vom Partner in Deutschland mit den Behörden und anderen zu kommunizieren.
Der Bundesrat, die Vertretung der Bundesländer, stellte jedoch schon 2015 fest: Da sich keine Belege finden ließen, dass der Sprachnachweis vor der Einreise der Verhinderung von Zwangsehen dient, “sollte diese Regelung aufgehoben werden”. Deutschkenntnisse könnten in Deutschland vermittelt werden.
Inländerdiskriminierung: Deutsche benachteiligt
Wäre Linda Wendt Griechin oder Rumänin, käme sie aus Brasilien, El Salvador oder Korea, könnte sie ihren Mann ohne A1-Test zu sich holen. Als Deutsche hat sie dieses Privileg ebenso wenig wie Ausländer in Deutschland aus nicht-privilegierten Staaten.
Ohne Sprachnachweis dürfen einreisen: die Ehepartner von Staatsangehörigen aus allen EU-Staaten und anderen Ländern ohne Visumspflicht. Gleiches gilt für die Ehepartner von anerkannten Geflüchteten, von Forschern, Selbstständigen oder Hochqualifizierten und seit kurzem auch von Fachkräften – selbst wenn beide Eheleute kein Deutsch sprechen.
Die Benachteiligung von Deutschen sei eine “Inländerdiskriminierung”, sagt Juristin Swenja Gerhard. Weil es im Verwaltungsrecht um Einzelfälle geht, muss jedes Paar neu um den Familiennachzug kämpfen.
“Ich bin wütend auf den Staat”, sagt Linda Wendt, “Die Institution Ehe wird so hochgehalten in Deutschland und dann wird einem verwehrt, das zu leben.” Im Grundgesetz, der deutschen Verfassung, heißt es in Artikel 6: “Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.” Deutsche können nicht darauf verwiesen werden, im Ausland zu leben. “Ich wollte nie nach Europa”, sagt Moro Diop, aber für seine Frau sei das Leben im Senegal schwer, “ich muss zu ihr ziehen”.
Härtefälle
2012 stellten die Richter des Bundesverwaltungsgerichts fest, vom Sprachnachweis vor Einreise beim Ehegattennachzug zu Deutschen sei abzusehen, “wenn Bemühungen um den Spracherwerb im Einzelfall nicht möglich, nicht zumutbar oder innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich sind”. Gründe können Krankheit, Behinderung oder fehlende Sprachlernangebote sein. 2015 wurde eine Härtefallregel für den Nachzug zu Ausländern gesetzlich verankert.
Juristin Gerhard berichtet, dass es Ehepaaren oft nicht gelinge, solche Härtefälle lückenlos zu belegen, um ein Visum ohne vorherigen Sprachnachweis zu erhalten. Eine Statistik dazu gibt es nicht.
Zusammenleben in der Ehe: “Mein Traum”
Moro Diob bereitet sich intensiv auf den vierten Sprachtest vor. Auch wenn er nicht besteht, will er ein Visum beantragen und auf die Härtefallklausel verweisen. Parallel bewirbt er sich für den Bundesfreiwilligendienst in Deutschland. In Abstimmung mit der Ausländerbehörde in Deutschland wird die Visumstelle der deutschen Botschaft in Dakar über die Zukunft des Ehepaars entscheiden.
Sie werden weiterkämpfen, sagt Linda Wendt. Ihre gemeinsamen Erfahrungen hat sie im Buch “Zwischen zwei Welten” aufgeschrieben, um das Thema bekannter zu machen und sich nicht so hilflos zu fühlen. Die Eheleute träumen von einem normalen Leben, einer Familie, Kindern.
Beide wollen arbeiten, Moro Diob möchte seine Frau unterstützen. “Wir hier im Senegal glauben, dass man mit seiner Frau zusammenleben soll, wenn man verheiratet ist”, sagt er. “Ich wünsche mir, endlich mit meiner Frau zusammen zu leben. Das ist mein Traum.”
Source : Deutsche Welle