Neun Länder treffen sich heute zum Nordsee-Gipfel in Ostende: Es geht um den schnelleren und besser abgestimmten Ausbau der Windkraft auf See. Gastgeber Belgien will das Meer zum grünen Kraftwerk Europas machen.
Belgiens Küstenlinie ist so kurz, dass man sie mit der Straßenbahn abfahren kann – ganze 67 Kilometer lang. Das Land hat weniger Meer als andere Nordsee-Anrainer. Aber es mache was daraus, sagt Regierungschef Alexander de Croo: “Belgien ist Vorreiter gewesen bei der Entwicklung von Offshore-Windenergie. Vor über 20 Jahren waren wir unter den ersten Ländern, die massiv in Windkraft auf See investiert haben. Jetzt gehören wir zu den Weltmarktführern.”
Bei klarer Sicht sieht man die Windturbinenparks vom Strand aus, sie stehen einige Kilometer vor der Küste im flachen Wasser. Bei der Offshore-Leistung steht europaweit Großbritannien an der Spitze mit 14 Gigawatt vor Deutschland mit acht. Die Niederlande, Dänemark und Belgien liegen zwischen zwei und drei Gigawatt, deutlich dahinter die Atom-Nation Frankreich mit 0,5 Gigawatt. Setzt man die Offshore-Kapazität ins Verhältnis zur Bevölkerung kommt Belgien nach eigenen Angaben sogar weltweit auf Platz zwei hinter Dänemark.
Es soll schneller gehen
Die belgischen Behörden wollen die Leistung bis 2030 verdreifachen. Dann soll jeder Haushalt des Landes Windstrom aus der Nordsee bekommen können. Eine künstliche Insel – 45 Kilometer vor der belgischen Küste – soll Windparks auf See mit dem Hochspannungsnetz an Land verbinden – und mit den Leitungen der Nachbarn. Schließlich wächst in ganz Europa der Hunger nach sauberer Energie. Bis Mitte des Jahrhunderts will der Kontinent mehr als 300 GW aus Nordseewind erzeugen.
Wie das funktionieren soll, das bespricht Belgiens Premier de Croo heute in Ostende mit den Staats- und Regierungschefs aus sieben weiteren Nordseeländern und Luxemburg: “Für uns geht es bei diesem Gipfel nicht darum, ehrgeizige Ziele zu formulieren. Davon haben wir genug. Für uns liegt die Bedeutung dieses Gipfels darin, die Ausführung zu beschleunigen.” Nach Ansicht des Gastgebers müssen die Regierungen Baupläne und Genehmigungsverfahren besser abstimmen. Bisher macht das nach de Croos Darstellung jede für sich – mit der Folge, dass in manchen Jahren gar nichts vorangehe, während es in anderen so viele Ausschreibungen gebe, dass die Industrie nicht hinterherkomme.
Bessere Koordination der Nordsee-Anrainer
Die Länder sollten mehr in Vernetzung (Interkonnektivität) investieren, um den Stromaustausch untereinander zu erleichtern. Bauteile müssten vereinheitlicht werden, um Windparks schneller installieren zu können. De Croo meint: “Der Bedarf ist größer, die Pläne sind ehrgeiziger denn je. Wir haben die Finanzierung und die Technologie. Aber das vergangene Jahr war eine Enttäuschung. Warum? Weil es völlig an Koordination fehlt.”
Die Staats- und Regierungschefs sowie Ministerinnen und Minister diskutieren außerdem über den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur und über Sicherheitsfragen. Nach den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines im vergangenen September ist die Sorge gewachsen, dass auch Windparks, Strom- und Datenleitungen sabotiert werden könnten.
Deutschland will aufholen
Der erste Nordsee-Gipfel fand vor elf Monaten im dänischen Esbjerg statt. Die damals vier Teilnehmerstaaten beschlossen, bei der Windkraft enger zusammenzuarbeiten und ihre Offshore-Kapazitäten deutlich auszubauen. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte im Mai 2022: “Wir müssen endlich loslegen und dafür Sorge tragen, dass Deutschlands Industrie diese Stromversorgung bekommt, dass die europäische Industrie diese Stromversorgung bekommt, indem Milliarden investiert werden in den Ausbau der Offshore-Windparks hier an der Nordsee.”
Deutschland hat ehrgeizige Pläne und einiges aufzuholen: 2021 ging vor der deutschen Küste keine einzige neue Windkraftanlage ans Netz. In den kommenden acht Jahren will die Ampelkoalition die Windkraft auf See fast vervierfachen auf mindestens 30 GW. Nach Ansicht von Gipfel-Gastgeber Belgien ist Europa mit fossiler Energie groß geworden, anfangs als Gemeinschaft für Kohle und Stahl, nun liege Europas Zukunft im gemeinsamen Ausbau der erneuerbaren Energien.
Source : Tages Schau