Kai Wegner, Berlins Regierender Bürgermeister, steht vor der Presse und strahlt. Neben ihm: sein Finanzsenator Stefan Evers (CDU) und seine Stellvertreterin Franziska Giffey (SPD). Die beiden tragen ein ebenso breites Lächeln im Gesicht. Der Berliner Senat stellt seinen Haushaltsentwurf für die Jahre 2024 und 2025 vor. “Niemandem soll es schlechter gehen” könnte die Überschrift heißen.
In Berlin, dem Bundesland mit den wohl knappsten Kassen, ist das eine Überraschung. Im Vorfeld war medial schon einmal durchgerechnet worden, was alles dem Sparhammer zum Opfer fallen könnte: Jugendclubs, Obdachlosenhilfe, Wachschutz an Schulen, neue Radwege… Sogar ein traditionsreicher Weihnachtsmarkt müsste ausfallen. Von einem “Mega-Kahlschlag” war zu lesen.
Doch kein Kahlschlag: Finanzsenator Evers, der Regierende Bürgermeister Wegner sowie Wirtschaftssenatorin Giffey bei der Vorstellung des Haushalts.
Wegner freut sich “wahnsinnig”
Und nun? Nichts von dem Schreckensszenario soll eintreten – stattdessen bleibt eigentlich alles, wie es ist. Und Berlin will sogar noch mehr Geld ausgeben als bisher. Statt 37,7 Milliarden Euro wie im laufenden Jahr sollen es 38,6 Milliarden im kommenden und 39,9 Milliarden im übernächsten Jahr werden. Wegner, der erst Ende April sein Amt antrat, erklärt: “Ich freue mich wahnsinnig.” Es sei ja sein erster Haushalt und endlich könne er gestalten.
Seine Amtsvorgängerin Franziska Giffey, bekannt dafür, ihren Gesetzesvorhaben schöne Namen zu geben, spricht von einem “Chancen-Haushalt” und einem “Zukunfts-Haushalt”. 2300 neue Stellen sollen geschaffen werden, vor allem bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Feuerwehr.
Keine Kürzungen
Die von vielen befürchteten Kürzungen, etwa bei freiwilligen und sozialen Ausgaben, soll es nicht geben. Mit diesem Haushalt bieten CDU und SPD der Opposition kaum Angriffsfläche. Das passt zu den ersten 75 Tagen dieses Senats. Seit ihrem Amtsantritt ist die Große Koalition in Berlin bemüht, vor allem gute Laune zu versprühen.
Dahinter dürfte Kalkül stecken, denn die Widerstände in der SPD gegen eine Regierungsbeteiligung unter Wegners Führung waren groß. Zu rechts, zu konservativ, so die Einschätzung vieler Sozialdemokraten. Bei seiner Wahl zum Bürgermeister brauchte er drei Wahlgänge, trotz einer rechnerisch komfortablen Mehrheit der Koalition.
Geduldeter Regierender Bürgermeister
Wegner ist ein Regierender, der von einigen in der SPD eher geduldet als getragen wird: ein Bürgermeister unter Vorbehalt. Er reagiert darauf mit vorsichtiger Politik und demonstrativer Einigkeit. Wegner legt Wert darauf, alles mit den Sozialdemokraten abzusprechen. Das Ergebnis ist eine Politik des “Weiter so”, die lediglich hin und wieder konservative Akzente aufweist. Der Berliner Rekordhaushalt ist die logische Konsequenz: bloß niemandem weh tun.
Die Taktik Wegners könnte durchaus aufgehen: Die SPD bekommt politisch weitgehend, was sie will – und die CDU stellt den Chef. Ein Rezept, das Angela Merkel auf Bundesebene erfolgreich etabliert hat. Doch in der Hauptstadt hat das Prinzip Grenzen – vor allem finanzielle.
Geplünderte Kassen
Denn der Haushalt ist nur finanzierbar, indem Berlin seine Rücklagen in Höhe von rund 4,6 Milliarden Euro aufbraucht – und das innerhalb der nächsten zwei Jahre. Was danach passiert? Unklar. Christian Erdmann, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, ist ein ausgewiesener Experte des Berliner Haushalts. Er konstatiert nüchtern: “Die Verteilungskämpfe hat man in die Zukunft verlagert. Man schiebt mögliche Kürzungen einfach zwei Jahre nach hinten.”
Und das könnte für Wegner ein Problem werden. Wenn Berlin bis 2025 nicht deutlich mehr Steuereinnahmen erzielt, dürften die Ausgaben auf dem Niveau der Jahre 2024/2025 nicht zu halten sein. Ein Wirtschaftswunder ist aber laut Konjunkturexperten momentan nicht in Sicht. Der “Chancenhaushalt” birgt also ein enormes politisches Risiko.
Verteilungskämpfe im nächsten Wahlkampf?
Erdmann merkt an: “Der Doppelhaushalt 2026/27 wird ein Jahr vor der Wahl aufgestellt. Das heißt, dann hat man die Verteilungskämpfe vor sich.” Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt also. Sollte das Schreckensszenario der harten Einschnitte im sozialen Bereich, beim Verkehr oder im sozialen Wohnungsbau dann doch eintreten, ist der öffentliche Aufschrei absehbar.
Ein Wahlkampf unter dem Eindruck von Sparrunden dürfte die demonstrative Harmonie in der Koalition auf eine harte Probe stellen. Und der “Zukunftshaushalt” wäre schon nach zwei Jahren ein “Problemhaushalt”. Für Berlin und für Wegner.
Quelle : Tagesschau