Der Atomausstieg Deutschlands wurde auf dieses Jahr verschoben, nachdem der Einmarsch Moskaus in die Ukraine verheerende Auswirkungen auf die Energiemärkte hatte.
Deutschland wird am Samstag seine letzten drei Kernreaktoren abschalten und damit aus der Atomkraft aussteigen, während es versucht, sich von fossilen Brennstoffen zu entwöhnen und eine durch den Krieg in der Ukraine verursachte Energiekrise zu bewältigen.
Während viele westliche Länder ihre Investitionen in die Atomenergie erhöhen, um ihre Emissionen zu reduzieren, beendet Deutschland das Atomzeitalter vorzeitig.
Nach jahrelangen Ausflüchten versprach Deutschland, endgültig aus der Atomkraft auszusteigen, nachdem die Katastrophe in Fukushima 2011 in Japan Strahlung in die Luft schoss und die Welt in Angst und Schrecken versetzte.
Doch der endgültige Abbau verzögerte sich vom letzten Jahr auf dieses Jahr, nachdem der Einmarsch Moskaus in die Ukraine Deutschland dazu veranlasste, die russischen Importe fossiler Brennstoffe zu stoppen. Die Preise schossen in die Höhe und man befürchtete weltweit eine Energieknappheit – doch nun ist Deutschland wieder zuversichtlich hinsichtlich der Gasversorgung und des Ausbaus erneuerbarer Energien.
Die Ausstiegsentscheidung war in einem Land mit einer starken Anti-Atomkraft-Bewegung beliebt, die von anhaltenden Ängsten vor einem Konflikt im Kalten Krieg und Atomkatastrophen wie Tschernobyl in der Ukraine geschürt wurde.
„Die Risiken der Atomkraft sind letztlich nicht beherrschbar“, sagte Umweltministerin Steffi Lemke, die diese Woche im Vorfeld eines G7-Treffens im Land eine Pilgerreise zu dem unglückseligen japanischen Atomkraftwerk unternahm.
Doch die Herausforderung durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine, der billige Gasimporte beendete, und die Notwendigkeit, die Emissionen schnell zu senken, hat in Deutschland die Forderungen nach einem Aufschub des Atomausstiegs lauter werden lassen.
Greenpeace, das Herzstück der Anti-Atomkraft-Bewegung, organisierte aus diesem Anlass eine feierliche Party am Brandenburger Tor in Berlin.
„Endlich gehört die Kernenergie der Geschichte an! Machen wir diesen 15. April zu einem unvergesslichen Tag“, sagte die Organisation.
Im Gegensatz dazu titelte die konservative Tageszeitung FAZ in ihrer Samstagsausgabe „Danke, Atomenergie“ und listete die Vorteile auf, die die Atomkraft dem Land im Laufe der Jahre gebracht habe.
‘Ein Fehler’
Der ursprünglich für Ende 2022 geplante Atomausstieg Deutschlands war bereits einmal verschoben worden.
Als die russischen Gasvorräte letztes Jahr zurückgingen, mussten die Berliner Beamten verzweifelt nach einer Möglichkeit suchen, die Gasversorgung am Laufen zu halten, und vereinbarten eine kurze Verlängerung bis Mitte April.
Deutschland, der größte Emittent in der Europäischen Union, hat auch einige seiner stillgelegten Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen, um die potenzielle Lücke zu schließen, die durch Gas entsteht.
Die schwierige Energiesituation hatte im Inland die Forderungen nach einem Aufschub des Atomausstiegs verstärkt.
Deutschland müsse angesichts möglicher Engpässe und hoher Preise „die Energieversorgung ausbauen und nicht weiter einschränken“, sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammern, Peter Adrian, der Rheinischen Post.
Bayerns konservativer Fraktionsvorsitzender Markus Söder erklärte unterdessen gegenüber Focus Online, er wolle, dass die Anlagen online bleiben und drei weitere „in Reserve“ bleiben.
Externe Beobachter waren ebenfalls verärgert über das Beharren Deutschlands auf dem Atomausstieg bei gleichzeitiger Steigerung des Kohleverbrauchs. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg bezeichnete den Schritt im Oktober als „Fehler“.
Im Isar-2-Komplex in Bayern werden Techniker den Reaktor am Samstag ab 22:00 Uhr (20:00 Uhr GMT) schrittweise abschalten und ihn damit endgültig vom Netz trennen.
„Es wird ein sehr bewegender Moment für die Kollegen sein, das Kraftwerk zum letzten Mal abzuschalten“, sagte Guido Knott, CEO von PreussenElektra, dem Betreiber von Isar 2, wenige Stunden vor Ablauf der Frist.
Bis zum Ende des Tages werden auch die Betreiber der beiden anderen Anlagen im nördlichen Emsland und im südwestlichen Neckarwestheim ihre Anlagen vom Netz genommen haben.
Die drei letzten Kernkraftwerke lieferten im vergangenen Jahr nur 6 Prozent der deutschen Energie, verglichen mit 30,8 Prozent aller Kernkraftwerke im Jahr 1997.
„Früher oder später“ werde mit dem Rückbau der Reaktoren begonnen, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck der Funke-Gruppe vor der geplanten Stilllegung und verwarf die Idee einer Verlängerung.
Die Regierung habe die Energiesituation „im Griff“, versicherte Habeck, indem sie die Gasvorräte füllte und eine neue Infrastruktur für den Import von Flüssigerdgas baute, um die Lücke zu schließen, die die russischen Lieferungen hinterlassen.
Stattdessen setzt sich der Minister der Grünen, die sich aus der Opposition gegen Atomkraft zusammensetzt, dafür ein, dass Deutschland bis 2030 80 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Energien produziert.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat dazu gefordert, in den nächsten Jahren „vier bis fünf Windkraftanlagen pro Tag“ zu installieren – eine große Herausforderung, wenn man bedenkt, dass im vergangenen Jahr nur 551 installiert wurden.
Quelle : AL JAZEERA