Seit über einem Jahr steht eine Evaluation des Kohleausstiegs aus, obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben ist. Der Bund will sie nun im Herbst vorlegen – und gleichsam einen Ausstieg bis 2030 prüfen. Der bleibt hoch umstritten.
Die Bundesregierung will im Herbst einen Bericht vorlegen, ob ein vorgezogener Kohleausstieg 2030 machbar ist – und wie er umzusetzen wäre. Das teilte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage von tagesschau.de mit. Die Ergebnisse sollen Teil einer ersten Evaluation des bislang auf 2038 ausgerichteten, laufenden Ausstiegs sein.
Ein frühzeitiger Kohleausstieg sei “ein folgerichtiger, logischer Schritt, um uns unabhängiger von fossilen Energien zu machen”, so eine Sprecherin des Ministeriums. Zudem seien Deutschlands Klimaschutzziele ohne einen vorgezogenen Ausstieg wahrscheinlich nicht zu erreichen.
Die Ampelkoalition strebt laut Koalitionsvertrag einen Ausstieg “idealerweise bis 2030” an. Mit dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Tagebau- und Kraftwerksbetreiber RWE konnte der Bund diesen Schnitt bereits im vergangenen Oktober vereinbaren. Für die beiden Reviere im Osten Deutschlands gilt aber weiterhin der schrittweise Ausstieg bis 2038.
Grüne zuletzt flexibel bei 2030
Hier hatte ein Positionspapier der Grünen-Bundestagsfraktion für einen Ausstieg 2030 im Frühjahr für viel Unmut gesorgt. Wirtschaftsminister Robert Habeck und andere grüne Spitzenpolitiker wie die Bundesvorsitzende Ricarda Lang vermieden seitdem, offen auf eine konkrete Jahreszahl zu drängen.
“Die Zahl 2030 ist sicherlich eine symbolische”, sagte der sächsische Abgeordnete Bernhard Herrmann im Gespräch mit tagesschau.de. Für den Klimaschutz sei entscheidend, wie viel Kohle bis zum Ausstieg abgebaut und verbrannt werde, so der Grünen-Politiker, der Mitglied im Klima- und Energieausschuss ist. Ein Ausstieg könne dementsprechend sogar früher oder auch “etwas später” als 2030 kommen.
Herrmann zufolge spricht seine Partei aus, “was alle Fachleute wissen”: Nämlich, dass Kohle weit vor 2038 unrentabel wird. So hatte nach RWE und EnBW zuletzt auch der Energiekonzern Uniper erklärt, bis 2029 die Kohleverstromung aus Kostengründen einzustellen.
Den Ausstieg aber allein dem Markt zu überlassen und sich nicht vorzubereiten, wäre gefährlich, sagt Herrmann. “Denn dann wird der Ausstieg von den LEAG-Eigentümern in Prag entschieden – und nicht hier.” LEAG baut Kohle im Lausitzer Braunkohlerevier ab und verstromt diese. Es gehört ebenso wie MIBRAG im Mitteldeutschen Revier dem tschechischen EPH-Konzern.
Die Politik dürfe den Menschen vor Ort nichts vormachen, sagte Hermann. Es brauche jetzt unter anderem einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien und des Stromnetzes.
Laufen Verhandlungen in der Lausitz schon?
Der Stromerzeuger LEAG wiederum hat zuletzt massiv in die Erneuerbaren und Speicherkapazitäten investiert. Beobachter gehen davon aus, dass der Bund, die betroffenen Länder und das Unternehmen längst über einen Ausstieg analog zum Rheinischen Revier verhandeln. Das Wirtschaftsministerium dementierte auf Nachfrage weder Gespräche mit LEAG über einen vorgezogenen Ausstieg, noch bestätigte es diese. Nur allgemein heißt es, man sei im kontinuierlichen Austausch mit der gesamten Energiewirtschaft – “auch mit LEAG” – sowie allen Bundesländern.
Eine Unternehmenssprecherin schreibt dazu, LEAG gehe davon aus, dass sich “alle beteiligten Parteien” an die bislang geltenden Regelungen halten. Mit dem Ministerium spreche man über “die Transformation des Unternehmens”, Investitionsanreize für Wasserstoff- und wasserstofffähige Kraftwerke, ein neues Strommarktdesign und beschleunigte Genehmigungsverfahren. Auch bei der Bergbauplanung, dem Wassermanagements und der Sozialverträglichkeit gebe es Klärungsbedarf.
Erst am Montag trafen sich Vertreter der betroffenen Kommunen mit Wirtschaftsminister Habeck. Sie forderten eine Planungsbeschleunigung, mehr Fördermittel für Schulen und ein besseres Wassermanagement.
Ost-Kohleländer kritisch
In den Kohleländern löst die 2030-Prüfung des Bundes derweil verhaltene Reaktionen aus. Man warte seit über zwei Jahren “auf klare Aussagen von Bundesminister Habeck” zu den Voraussetzungen für einen früheren Ausstieg, so ein Sprecher der Brandenburger Landesregierung. Insofern gelte weiterhin das jetzige Ausstiegsgesetz.
Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte im März gesagt: “Vielleicht ist es möglich, dass wir es 2032 oder 2033 schaffen.” Als Bedingungen dafür nennt ein Sprecher der brandenburgischen Regierung aber dauerhaft verfügbare bezahlbare Energie, neue Industriearbeitsplätze in der Lausitz und das “Mitnehmen der Lausitzerinnen und Lausitzer”.
Woidkes sächsischer Kollege Michael Kretschmer hat einen Ausstieg 2030 immer abgelehnt – ebenso Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Ein Kohleausstieg bis 2030 wird “nicht möglich sein”, heißt es aus der Magdeburger Staatskanzlei. Denn bis dahin ließen sich weder Versorgungssicherheit und Preisstabilität gewährleisten, noch die Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze und Wertschöpfung schaffen.
Laut dem “Lausitz Monitor”, einer repräsentativen Befragung zweier Beratungsagenturen, lehnen auch die Menschen in der Lausitz einen Ausstieg zu 2030 bislang mehrheitlich ab. Die Befragten blickten vor allem kritisch auf den Arbeitsmarkt der Region.
Letzterer soll vor allem durch Fördermaßnahmen gestärkt werden. Bislang lässt sich schwer beurteilen, ob das funktioniert. Ein erster Zwischenbericht der Bundesregierung zum Strukturwandel kam Mitte August zu dem Schluss, dass es noch zu früh sei, um die Wirkung der Maßnahmen abschließend zu beurteilen. Der befürchtete Beschäftigungsverlust in den Revieren sei zwar ausgeblieben. Auch fließe das Geld bislang in vernünftige Projekte. Allerdings seien erst wenige Mittel ausgegeben worden und der Fachkräftemangel dürfte den ländlichen, ostdeutschen Regionen Probleme bereiten.
Bund seit über einem Jahr in Verzug
Umso wichtiger erscheint da die nunmehr für Herbst anstehende erste Evaluation des Kohleausstiegs. Sie soll den Auswirkungen des Kohleausstiegs auf den Strommarkt, die Wärmeversorgung und den Klimaschutz auch die Sozialverträglichkeit des Ausstiegs prüfen.
Die Evaluation ist gesetzlich vorgeschrieben, hätte aber bereits im August 2022 vorliegen sollen. Mit Verweis auf die Auswirkungen des Ukraine-Krieges wurde ihr Erscheinen mehrfach verschoben, zuletzt Anfang Juli. Die zusätzliche Prüfung eines Ausstiegs 2030 sah das Gesetz nicht vor.
Laut dem Lausitzer Bundestagsabgeordneten und Finanzpolitiker Christian Görke hat sich der Bund zu viel Zeit mit der Evaluation gelassen. Es müsse Klarheit über Fragen der Energiesicherheit, Preisentwicklung und Sozialverträglichkeit herrschen. “Jeder Bürger muss sich an gesetzliche Fristen halten, nur die Regierung hat wohl Narrenfreiheit”, sagte der Linken-Politiker.
Er spricht von einer Missachtung des Parlaments und der Opposition, “aber vor allem der Menschen und Unternehmen in der Lausitz”. Und wenn der Bund nicht mehr Druck mache bei Bewilligungsverfahren und der Schaffung neuer Arbeitsplätze, “wird das eh nichts mit 2030”, so Görke.
Quelle : tagesschau