Satellitenbilder zeigen: Russland, USA und China haben offenbar ihre Areale für Atomtests umfangreich erweitert. Planen sie neue Atomtests – erstmals seit Jahrzehnten?
Die Beziehungen zwischen den drei großen Atommächten USA, Russland und China sind angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ausgerechnet in dieser Situation wird bekannt: Alle drei Länder haben in den letzten Jahren ihre Atomteststandorte im großen Stil ausgebaut. Das zeigen Satellitenbilder, über die der US-Nachrichtensender “CNN” berichtet.
Dabei geht es um drei Areale: einen US-Standort in der Wüste von Nevada, ein chinesisches Testgelände in der Region Xinjiang und einen russischen Standort in der Arktis. Es gebe zwar nirgends konkrete Hinweise auf einen bevorstehenden Atomtest, heißt es in dem Bericht. Doch die Satellitenbilder der vergangenen drei bis fünf Jahre veranschaulichen, wie alle drei Atomteststandorte stetig erweitert wurden.
Neue Tunnel, Straßen, Gebäude
Zu sehen seien neue Tunnel durch Berge, neue Straßen und Lagereinrichtungen und auch mehr Verkehr von Fahrzeugen, die an den Standorten ein- und ausfahren, zitiert CNN Jeffrey Lewis vom James Martin Center for Nonproliferation Studies in Kalifornien.
Wir sehen wirklich viele Hinweise darauf, dass Russland, China und die Vereinigten Staaten die Atomtests wieder aufnehmen könnten.
Jeffrey Lewis, James Martin Center for Nonproliferation Studies bei CNN
Russland Atomgelände-Ausbau nur Bluff?
Auch der ehemalige US-Luftwaffenoberst Cedric Leighton wertete die Bilder der Atomanlagen für CNN aus. Und auch er kommt zu dem Schluss: Alle drei Nationen unternahmen in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen, um ihre Atomwaffenarsenale zu modernisieren und sich auf mögliche Tests vorzubereiten.
Auf Satellitenfotos aus Nevada ist deutlich zu erkennen, wie das Gelände in den vergangenen Jahren erweitert wurde. Ähnliches ist auf den Teststätten in Russland und China zu sehen: So wurden in Nowaja Semlja in der Arktis umfangreiche Bauarbeiten festgestellt, während in China am Lop-Nur-Testgelände beispielsweise neue Tunnel graben ließ.
Mir ist ziemlich klar, dass sich die Russen auf einen möglichen Atomtest vorbereiten.
Cedric Leighton, ehemaliger Geheimdienstoffizier der US-Luftwaffe bei CNN
Möglich sei aber auch, dass Russland zwar Vorbereitungen für einen Atomtest treffe, um dem Westen Angst zu machen – ihn dann aber doch nicht verwirkliche, so Leighton.
Keine Tests mehr seit Kernwaffenteststopp-Vertrag 1996
Keines der genannten Länder führte seit 1996 noch Tests durch – damals war der sogenannte Kernwaffenteststopp-Vertrag ausgehandelt worden. Er verbietet Atomtests generell, ist aber noch nicht in Kraft getreten: Alle drei Staaten haben den Vertrag zwar unterzeichnet – doch die USA und auch China haben ihn noch nicht ratifiziert, im Gegensatz zu Russland.
Experten sehen die Enwicklung mit Sorge, da sie zu einem neuen nuklearen Wettrüsten führen könnte. Erst im Februar hatte Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt, den Atomwaffenvertrag mit den USA auszusetzen und auch Kernwaffentests anzuordnen, wenn die USA dies zuerst täten.
Experte: Befinden uns in Rüstungswettlauf
Für Rüstungsexperte Moritz Kütt vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg ist die Entwicklung keine Überraschung:
Grundsätzlich arbeiten alle drei Staaten seit vielen Jahren an der Modernisierung ihrer Arsenale.
Moritz Kütt, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik
Trotz des Testmoratoriums würden Komponenten der Kernwaffen laufend weiter getestet, so Kütt. Für den Ausbau der Standorte sieht er daher drei Gründe:
- Alle drei Staaten wollen erlaubte Tests intensivieren
- Alle drei Staaten wollen vorbereitet sein, falls ein anderer Staat testen sollte
- Politischer Druck der Waffenentwickler für neue Tests
Die neuen Erkenntnisse würden einmal mehr bestätigen, “dass wir uns in einem neuen Rüstungswettlauf befinden”, so Kütt. “Würden nun einzelne Staaten mit Tests beginnen, würden andere nachziehen.”
Weltuntergangs-Uhr 90 Sekunden vor Mitternacht
Die sogenannte Weltuntergangsuhr, mit der Forscher auf die Gefahren für die Menschheit aufmerksam machen, wurde erst im Januar auf 90 Sekunden vor Mitternacht vorgestellt – so weit wie nie zuvor. Im Vergleich zum Vorjahr rückte die symbolische Uhr zehn Sekunden näher an Mitternacht heran, wie die Organisation “Bulletin of the Atomic Scientists” am Dienstag mitteilte.
Die Wissenschaftler begründeten dies in erster Linie mit “Russlands Einmarsch in die Ukraine und dem erhöhten Risiko einer nuklearen Eskalation”. “Russlands kaum verhüllte Drohungen, Atomwaffen einzusetzen, erinnern die Welt daran, dass eine Eskalation des Konflikts – durch einen Unfall, durch Absicht oder Fehlkalkulation – ein furchtbares Risiko ist”, erklärte die Organisation. “Die Möglichkeit, dass der Konflikt außer Kontrolle gerät, bleibt hoch.”
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wurde erstmals am 22. September 2023 veröffentlicht und am 25. September 2023 um Aussagen des Rüstungsexperten Moritz Kütt erweitert.
Quelle : zdf