Aus Berlin fehlt Rückenwind für die auf Landesebene wahlkämpfenden Ampelparteien. Schlägt sich der Frust über die Bundespolitik auch in den Wahlergebnissen in Bayern und Hessen nieder?
Sollte Olaf Scholz zu Nachtgebeten neigen, wird er wohl derzeit die FDP darin fest mit einschließen: Möge sie in die beide Landtage in Hessen und Bayern wieder hineingewählt werden. Dass sein kleinster Koalitionspartner im Bund am Sonntag in den beiden Bundesländern unter die Fünf-Prozent-Hürde geraten könnte, liegt durchaus im Bereich des Möglichen.
Dann könnte es auch für ihn als Bundeskanzler der Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP deutlich ungemütlicher werden. “Ampel tut der FDP nicht gut”, wäre wohl in manchen FDP-Kreisen die Lesart: Die Gruppe der Ampel-Gegner und -Skeptiker in der liberalen Partei bekäme Aufwind, der ampelinterne Krawallfaktor würde sicher steigen.
Viel hängt an den FDP-Werten
Selbstzerfleischung kann sich die Koalition im Bund jedoch nicht mehr leisten. Zu deutlich und zu hoch sind Unzufriedenheitswerte mit der Ampelkoalition, die damit auf ihre Halbzeit zusteuert. Will Scholz sein Ziel erreichen, länger als eine Legislatur in diesem Bündnis zu regieren, wird er nach dem Wahlsonntag vieles ändern müssen. Denn auch seine Partei wird dort wohl Federn lassen – von Hessen und Bayern wird dann aus den SPD-Zentralen sicher auf fehlenden Rückenwind aus Berlin verwiesen.
Die nun bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern geraten zu einer Abstimmung über die Ampelpolitik. “Auch, weil es in den Bundesländern keine besonders strittigen Themen gibt”, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun im Gespräch mit tagesschau.de.
Schadet die Bundespolitik in den Ländern?
In Hessen verdoppelt sich dieser Negativeffekt des bundespolitischen Einflusses sogar vermutlich: Dort tritt als SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser an, Scholz’ Bundesinnenministerin. Sie wird dort eher als Bundes- denn als Landespolitikerin wahrgenommen, obwohl sie in Hessen bereits Oppositionsführerin war.
Nicht nur, weil sie deutlich gemacht hat, dass sie im Falle einer Wahlniederlage nicht nach Hessen wechseln, sondern ihr Amt im Bund behalten würde. Auch, weil gerade sie als Innenministerin für ein Thema steht, das viele Menschen im Land umtreibt: die Migrationspolitik.
Die Themen Zuwanderung und Flucht werden im aktuellen DeutschlandTrend als wichtiges Problem benannt, um das sich die Politik vordringlich kümmern müsse. Die Wahlkämpfenden in den Ländern, aber auch in den Ampel-Parteizentralen in Berlin spürt man das – das Thema ist auch bei den Grünen angekommen.
Dabei war es die Hoffnung der Landes-SPD, von der Prominenz Faesers als Bundespolitikerin profitieren zu können. Die Rechnung wird wohl nicht aufgehen, schaut man auf die Vorwahlumfragen. Dort steht die SPD bei 16 Prozent, demselben Wert wie die Bundes-SPD. Bei den Landtagswahlen 2013 konnte die SPD noch 30,7 Prozent erreichen, 2018 waren es noch 19,8 Prozent der Stimmen.
Denkzettel für “die in Berlin”?
Bereits im Jahr 2018 hatte die Hälfte der hessischen Wählenden bei einer Wahlbefragung angegeben, die Landtagswahl in Hessen sei eine gute Gelegenheit, der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen. Damals regierte noch die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel – in einer bereits ausgelaugten dritten Auflage dieses Bündnisses, in das sich die SPD wenig überzeugt hineinbegeben hatte.
Auch CDU und CSU gaben mit den Protagonisten Merkel und Horst Seehofer (CSU) gerade bei der Migrationspolitik ein uneiniges Bild ab. Bereits damals bemängelten Wählerinnen und Wähler die “Zerstrittenheit” der Bundesregierung, ähnlich wie heute.
Es greift also zu kurz, nur die aktuelle Bundesregierung mit ihrem ebenfalls oft zerstrittenen Auftreten als Ursachen für mögliche Denkzettel bei der Doppelwahl auszumachen. In Teilen der Wählerschaft wächst die Distanz zu “denen da oben”, AfD und Freie Wähler profitieren davon.
“Die AfD wirkt als Denkzettel schlechthin”, sagt Politologe Jun, und zwar um als Wähler zu signalisieren: “Ich zeige es denen mal in Berlin”. So kommt es, dass die in Teilen rechtsextreme Partei, die Stimmung gegen Migranten, Medien und Regierung macht, ihr Wählerpotenzial derzeit stark ausschöpfen kann, im Bund wie in den Ländern. Sie werde “vermutlich die Gewinnerin dieses Sonntags sein”, prognostiziert Jun.
Schwachpunkt Heizungsgesetz
Gerade das Gebäudeenergiegesetz habe dazu beigetragen, dass sich dieser Eindruck der Abgehobenheit der Regierenden bei manchen Bürgerinnen und Bürgern noch verstärkt habe, meint Jun. Das Gerangel um das sogenannte Heizungsgesetz, von dem ein erster Entwurf in einer frühen Abstimmungsphase nach außen gedrungen war, wird im Rückblick von seinen Macherinnen und Machern selbst als großer Schwachpunkt der Ampelpolitik gesehen.
“Was wir unterschätzt haben, war, dass wir die soziale Flanke zu lange offengelassen haben”, räumte Grünen-Politiker Michael Kellner in der ARD kürzlich ein. Das sei der “Tiefpunkt im Gesetzgebungsprozess der Ampel” gewesen, sagte der Staatssekretär im hier federführenden Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz von Robert Habeck. Das hätten sie besser machen können und müssen – diese selbstkritische Erkenntnis haben die Ampelkoalitionäre.
Die Frage, ob und wie man sich die Klimapolitik leisten kann, treibt die unteren Schichten um. Der Soziologe Steffen Mau, der bei der jüngsten Kabinettsklausur in Meseberg vom Kanzleramt als Gastredner geladen war, hat einen Rat an die Politik: “Wer Leute für Veränderungen begeistern möchte, muss ihnen das Gefühl geben, dass sie die Veränderungen nicht nur erdulden oder erleiden, sondern sie mitgestalten”, sagte er dem “Spiegel”. Erst dann seien sie bereit, Gewohnheiten und Besitzstände zu überdenken.
Quelle : tagesschau