Israels Sicherheit sei nicht verhandelbar, sagt die Bundesaußenministerin im höchsten UN-Gremium. Zugleich müsse Unbeteiligten im Gazastreifen geholfen werden. Israel wettert gegen UN-Generalsekretär Guterres.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat Israels Recht auf Selbstverteidigung vor dem UN-Sicherheitsrat hervorgehoben, das Land aber auch zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts angehalten. „Der Kampf richtet sich gegen die Hamas und nicht gegen Zivilisten. Deshalb ist es für uns von entscheidender Bedeutung, dass dieser Kampf im Einklang mit dem humanitären Recht und mit größtmöglicher Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung in Gaza geführt wird“, sagte Baerbock bei einer hochrangig besetzten Sitzung des Sicherheitsrats am Dienstag in New York. Das Leben aller Zivilisten sei in gleichem Maße wichtig. Den Unbeteiligten im Gazastreifen müsse mit Kampfpausen in „humanitären Fenstern“ geholfen werden.
Baerbock betonte, dass Israel wie jeder Staat der Welt das Recht habe, sich im Rahmen des Völkerrechts gegen Terrorismus zu verteidigen. Die Grünen-Politikerin bezog sich dabei auch auf die historische Verantwortung Deutschlands angesichts des Holocaust. „’Nie wieder’ – für mich als Deutsche bedeutet das, dass wir nicht ruhen werden, wenn wir wissen, dass die Enkel von Holocaust-Überlebenden jetzt in Gaza von Terroristen als Geiseln gehalten werden“, sagte die Ministerin. Für Deutschland sei die Sicherheit Israels nicht verhandelbar.
Angesichts der notleidenden Bevölkerung im Gazastreifen bekräftigte Baerbock ihren Ruf nach Kampfpausen im Krisengebiet. Es brauche „humanitäre Fenster“. Dahinter steckt ein Streit in der EU, inwieweit die europäischen Länder die UN-Forderung einer Waffenruhe unterstützen könnten. Die Verwendung des Wortes „Pausen“ im Plural könnte demnach deutlich machen, dass die EU Israel nicht auffordert, den Kampf gegen die Terrororganisation Hamas mit sofortiger Wirkung einzustellen. Diesen Eindruck wollen Länder wie Deutschland und Österreich unbedingt vermeiden.
Ein Friedensprozess in Nahost könne nur im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung stattfinden, sagte Baerbock weiter. Sie sprach als Gast bei der Debatte des mächtigsten UN-Gremiums. Deutschland ist momentan nicht Mitglied des 15-köpfigen Sicherheitsrats, dessen zehn nicht-ständige Mitglieder jeweils für zwei Jahre gewählt werden.
Harsche Erwiderung an Guterres
Bei der Sitzung kam es zu einer wütenden Auseinandersetzung zwischen Israels Außenminister Eli Cohen und UN-Generalsekretär António Guterres. „Herr Generalsekretär, in welcher Welt leben Sie?” fragte Cohen, der eindrücklich den Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel vom 7. Oktober schilderte. „Das ist definitiv nicht unsere Welt.“ Cohen wies insbesondere Guterres’ Verknüpfung der von der Hamas verübten Gewalt an israelischen Zivilisten mit der Besatzung scharf zurück. Mit seinem Rückzug aus Gaza im Jahr 2005 habe Israel den Palästinensern das Gebiet „bis auf den letzten Millimeter“ überlassen, sagte der Minister.
Der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan rief Guterres im Kurzbotschaftendienst X (vormals Twitter) gar zum Rücktritt auf. Der UN-Generalsekretär habe eine „schockierende Rede“ gehalten und darin „Verständnis für Terrorismus und Mord“ zum Ausdruck gebracht. „Der UN-Generalsekretär, der Verständnis für das Vorhaben des Massenmordes an Kindern, Frauen und Älteren zeigt, ist nicht geeignet, die UNO anzuführen“, schrieb Erdan. „Ich rufe ihn auf, sofort zurückzutreten.“
Guterres hatte bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates erneut den Hamas-Angriff auf Israel scharf verurteilt. Er sagte aber auch, die Angriffe der radikalislamischen Palästinenserorganisation seien „nicht in einem Vakuum erfolgt“. Die Palästinenser würden seit 56 Jahren unter „erstickender Besatzung“ leiden. Guterres warnte auch vor einer „kollektiven Bestrafung“ der Palästinenser nach dem Hamas-Angriff und prangerte „klare Verletzungen des humanitären Völkerrechts“ im Gazastreifen an. „Keine Partei eines bewaffneten Konflikts steht über dem internationalen humanitären Recht“, sagte der UN-Generalsekretär, ohne Israel dabei explizit zu nennen. „Um unvorstellbares Leid zu mildern, die Lieferung von Hilfen leichter und sicherer zu machen und die Freilassung von Geiseln zu erleichtern, wiederhole ich meinen Appell für eine sofortige humanitäre Waffenruhe.“
Israel hat Forderungen nach einer Waffenruhe bislang zurückgewiesen. Die Regierung verweist unter anderem auf die anhaltenden Raketenangriffe gegen Israel und die Geiseln, die sich in der Gewalt der Hamas befinden. Die US-Regierung unterstützt Israel in dieser Haltung und hat wiederholt erklärt, eine Waffenruhe würde letztlich nur der Hamas helfen. US-Außenminister Antony Blinken zeigte aber am Dienstag im UN-Sicherheitsrat Offenheit für „humanitäre Pausen“.
Palästinensischer Außenminister: „Massaker“
Der palästinensische Außenminister Rijad al-Maliki warf Israel „Massaker“ im Gazastreifen vor. „Die anhaltenden Massaker, die bewusst und systematisch und brutal von Israel (…) verübt werden, müssen gestoppt werden“, sagte der Diplomat bei der Sitzung des Sicherheitsrates. „Es ist unsere kollektive humane Pflicht, sie zu stoppen.“ Ein weiteres „Scheitern“ des UN-Sicherheitsrats bei dem Thema sei „unentschuldbar“.
Die im Gazastreifen herrschende Hamas hatte bei ihrem Großangriff auf Israel nach Regierungsangaben etwa 1400 Menschen getötet und mehr als 220 als Geiseln genommen. Bei israelischen Gegenangriffen auf den Gazastreifen starben laut nicht überprüfbaren Hamas-Angaben seither mehr als 5800 Menschen.
Im UN-Sicherheitsrat, in dem die fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA ein Veto-Recht haben, sind bereits zwei Versuche einer Resolution zum Nahost-Krieg gescheitert. Am Donnerstag wird sich die UN-Vollversammlung mit dem Thema befassen.
Quelle : faz