Ein imposanter Mann. Im Schwäbischen, wo der gebürtige Stuttgarter auch als Weltunternehmer jederzeit hörbar herkam, nannte man früher die kleinen Jungs noch „Bürschle“ und die größeren „Kerle“. Heinz Dürr war so gewiss: ein Kerl. Im Juli erst hat der energiereiche Wirtschaftsmagnat und Förderer von Literatur, Theater und Wissenschaft seinen 90. Geburtstag gefeiert, vergangene Woche aber ist er in seinem von David Chipperfield gebauten Haus in Berlin-Zehlendorf offenbar ganz unerwartet gestorben. Man darf annehmen: voller Lebensmut und zugleich Vergänglichkeitsbewusstsein. Davon nämlich spricht sein vor drei Jahren erschienenes Buch: Heinz Dürr „Alter Mann, was nun? Zwischenrufe aus der letzten Reihe“ (Langen Müller Verlag, München 2020, 208 Seiten, 20 Euro).
Schon der Untertitel ist eine selbstironische Anspielung. Denn vor 15 Jahren hatte Dürr bereits seine Lebenserinnerungen „In der ersten Reihe“ als „Aufzeichnungen eines Unerschrockenen“ veröffentlicht. Die erste Seite dort begann mit einer Szene 1997 im Hotel Adlon, mit Heinz Dürr und seiner Frau Heide in der ersten Reihe, und vor ihm redet über ihn der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl – bei einer großen Festveranstaltung zu Dürrs Abschied als Chef der Deutschen Bahn.
„Alter Mann, was nun?“ indes beginnt 2010 mit der Zweihundertjahrfeier der Berliner Humboldt-Uni, Dürr ist natürlich eingeladen und findet zu seiner Überraschung keinen reservierten Platz mehr. Er setzt sich still und mit leichten Hörproblemen (was beim Ertragen manch langwieriger Reden hilft) in die letzte Reihe.
Allerdings zeigt das neue Buch, dass auch der alte Dürr nicht zum rastenden, rostenden Eisen gehörte. Als früherer AEG- und Bahn-Boss, als Kopf der eigenen, als technischer Zulieferer der internationalen Autoindustrie zur Weltfirma gemachten schwäbischen Dürr AG reflektiert er seine weiterwirkenden Netzwerke und unsere gegenwärtigen Weltprobleme. Klimawandel, KI-Problematik, Finanzwirtschaft oder das unvermeidliche Älterwerden.
Wirtschaft ist für Dürr im Sinne Walter Rathenaus (Gründungsvater der AEG) eine Geld und Ethik verpflichtete Gesellschaftsunternehmung; mit Ray Kurzweil, dem Google-Guru des Transhumanismus, diskutiert er die (un)mögliche Singularität von Mensch und Maschine, schreibt an den Papst oder zitiert neben Goethe auch Yasmina Reza: gebildet unverbildet und in oft amüsanter Weise. Da erfährt man allerhand. So wäre der Großkapitalist H. D. 1990 (aushilfsweise) beinahe noch der letzte DDR-Wirtschaftsminister geworden!
Quelle : Tagesspigel