Wer behauptet, das Vertrauen in die gesellschaftsbindende Kraft der christlichen Heiligen und deren politische Bedeutung sei gebrochen, sollte mal in die Niederlande sehen. Lohnt sich gerade heute, am Tag des Heiligen Nikolaus, des Sinter Claas. Er erinnert an den Bischof von Myra, der seit dem 6. Jahrhundert von Katholiken und Orthodoxen verehrt wird, aber auch von evangelischen Christen: Vor allem die Kinder verteidigen „ihre“ Heiligen Nikolaus und Martin so eisern wie die Bauern „ihren“ Sommersonnenwende-Heiligen Johannes – erst gegen die Heiligenfeinde Luther und Calvin, heute gegen alle Formen von Rationalismus.
Die Niederlande sind zwar seit dem 16. Jahrhundert calvinistisch geprägt, also strukturell eher heiligenfeindlich. Aber Sinter Claas ist eine andere Sache. Während in den Niederlanden wie in ganz Europa die Gottesdienst-Besucherzahlen abnehmen, steigt der Rummel um Sinter Claas stetig, mit eigenen Radio- und Fernsehsendungen, sogar Zeitungen. Längst klinken sich auch Muslime ein: Kommt der Heilige des Tages nicht aus der heutigen Türkei, der Stadt Demre, einst Myra?
Es sind wohl auch hier wie bei Heiligabend die Kinder, die die gesellschaftliche Integration vorantreiben. Dieses Jahr streiten sich zudem alle nicht so sehr um die Frage, ob der Begleiter des Heiligen, der „Swarte Piet“, also Schwarze Peter, nun ein Symbol kolonialistischer und rassistischer Traditionen ist oder ein (für viele Nicht-Weiße gar nicht) lustiger Brauch. Ein Streit, der inzwischen so sehr zum Kalender gehört, dass er selbst Teil der Sinter Claas-Folkore zu sein scheint.
Aktuell aber geht es darum, ob es richtig ist, „Sinter Claas“-Gedichte von ChatGBT, also einem Computer komponieren zu lassen. Das geht erstaunlich gut, etwa auf www.sinterklaasgedichtenmaken.nl. Aber ist das nicht doch ein zu wenig persönliches Geschenk?
Das Tolle an diesen Gedichten ist nämlich: Sie gehören zu Geschenken, die zwar gut ausgesucht, aber anonym überreicht werden sollen. So wie einst in der Legende der Heilige drei armen Mädchen Goldklumpen durchs Fenster warf, um ihnen in der Not zu helfen. Um aber etwaige Dankschuld gar nicht aufkommen zu lassen, achtete er sehr darauf, unerkannt zu bleiben. Er scheiterte, wurde erkannt wie heute die meisten Eltern – aber der Versuch zählt.
Das Geschenk sollte ein Zeichen bleiben können, dafür, dass auch die Schwachen nicht allein sind. Eine Legende, die ihrer Romantik, aber eben auch der gesellschaftspolitischen Botschaft wegen gerne und oft gemalt wurde. Gehen Sie mal in die Gemäldegalerie! Und wenn wir den Strumpf möglichst ohne Kenntnis der Kinder mit goldenen Äpfeln oder Orangen füllen – dann ist das eben auch der Spiegel gelebter Heiligenkulte. Dies Jahr mal mit einem netten Gedicht – wie wär’s?
Quelle : Tagesspigel