401 Abgeordnete stimmten im Europäischen Parlament am Donnerstag für Ursula von der Leyen, während 284 gegen sie votierten. Es gab bei 707 abgegebenen Stimmen 15 Enthaltungen. Sieben Stimmzettel waren ungültig.
Die 65-Jährige Präsidentin der EU-Kommission brauchte für ein weiteres fünfjähriges Mandat eine absolute Mehrheit von 361 der 720 Abgeordneten. Ihr aktuelles Ergebnis fiel damit besser aus als bei ihrer ersten Wahl vor fünf Jahren, als sie mit einer knappen Mehrheit von neun Abgeordneten ins Amt gewählt wurde.
Die volle Unterstützung ihrer Europäischen Volkspartei (EVP) hatte von der Leyen allerdings nicht, die französischen Republikaner etwa sprachen sich gegen sie aus. Auch unter den Sozialdemokraten und in der Liberalen-Fraktion Renew dürfte es in der geheimen Wahl Abweichler gegeben haben. Von der Leyen konnte jedoch mit zahlreichen Stimmen aus der Gruppe der Grünen rechnen. Auch Teile des Rechtsaußen-Lagers sagten ihr Unterstützung zu. Bei der geheimen Abstimmung im Parlament gab es keinen Fraktionszwang. Zuvor war von der Leyen von den EU-Staats- und Regierungschefs für das Amt nominiert worden.
Kanzler Scholz gratuliert
Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte von der Leyen umgehend zur Wiederwahl. Dies sei “ein klares Zeichen für unsere Handlungsfähigkeit in der Europäischen Union, gerade in schwierigen Zeiten”, schrieb Scholz im Onlinedienst X. Auf dem gleichen Portal schrieb Außenministerin Annalena Baerbock: “In diesen stürmischen Zeiten braucht es eine echte Herzenseuropäerin an der Spitze der EU-Kommission.” Den Glückwünschen schloss sich auch CDU-Chef Friedrich Merz an.
Dagegen erhielt von der Leyen keine Unterstützung von den FDP-Abgeordneten im EU-Parlament. Die Leiterin der FDP-Delegation, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, kritisierte unter anderem, von der Leyen habe in ihrer Bewerbungsrede neue europäische Schulden nicht ausgeschlossen.
Von der Leyen will “starkes Europa”
In ihrer Bewerbungsrede für eine zweite Amtszeit warb die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein “starkes Europa” und setzte sich für einen entschlossenen Kampf gegen Demagogen und Extremisten ein. Europa könne nicht weltweit Diktatoren und Demagogen kontrollieren, sagte die CDU-Politikerin vor den Abgeordneten des EU-Parlaments. Aber es könne sich entscheiden, seine eigene Demokratie zu schützen und in die Sicherheit und Verteidigung dieses Kontinents zu investieren. Sie sei bereit, den Kampf mit allen demokratischen Kräften im Parlament anzuführen. “Ich werde niemals akzeptieren, dass Demagogen und Extremisten unsere europäische Lebensart zerstören”, betonte sie.
Scharfe Kritik übte von der Leyen an der Moskau-Reise des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban. Sein Besuch beim russischen Staatschef Wladimir Putin sei ein Entgegenkommen gegenüber einem Politiker, der einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen habe. “Diese sogenannte Friedensmission war nichts anderes als eine Appeasement-Mission”, sagte sie unter Anspielung auf die britische Beschwichtigungspolitik gegenüber Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg.
Erstmals ein EU-Verteidigungskommissar?
Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sprach sie sich zudem dafür aus, eine “echte Europäische Union der Verteidigung” aufzubauen. Dafür müsse die EU mehr in ihre Sicherheit investieren. Es soll auch erstmals ein EU-Verteidigungskommissar ernannt werden. Die NATO bleibe allerdings der Pfeiler der europäischen Verteidigung.
Die CDU-Politikerin will auch neue Impulse bei der Verteidigung setzen. “Wir werden eine Reihe von Verteidigungsprojekten von gemeinsamem europäischem Interesse vorschlagen, beginnend mit einem europäischen Luftschutzschild und Cyberabwehr”, heißt es in einem 31-seitigen Dokument, in dem sie ihre Vision für die zweite Amtszeit darlegt. Von der Leyen betonte weiter, man befinde sich in einer Zeit großer Angst und Unsicherheit. Sie sei aber überzeugt, dass ein starkes Europa den Herausforderungen gewachsen sei.
Neuer Wettbewerbsfonds geplant
Bei einer Wiederwahl will die EU-Spitzenpolitikerin die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ins Zentrum ihrer Tätigkeit stellen. “Europa kann an seiner Herausforderung wachsen”, sagte die Deutsche im Parlament. Dazu gehöre der Abbau von Bürokratie durch alle Kommissare der Brüsseler Behörde. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten zudem schneller werden. “Europa braucht mehr Investitionen.” Ziel müsse es sein, private Gelder verstärkt anzulocken.
Von der Leyen kündigte einen neuen Wettbewerbsfonds an, ohne ein Volumen zu nennen. Er solle Teil des nächsten mittelfristigen Haushalts ab 2028 werden. Förderungen müsse es geben für Künstliche Intelligenz (KI), grüne Industrien und Biotechnologiefirmen.
Strategie für saubere Industrie
Im Fall ihrer Wiederwahl zur EU-Kommissionspräsidentin will Ursula von der Leyen in den ersten 100 Tagen der neuen Legislaturperiode eine Strategie für eine saubere Industrie in Europa vorlegen. Der “Clean Industrial Deal” werde Investitionen in Infrastruktur und Industrie kanalisieren, insbesondere für energieintensive Sektoren, sagte sie. “Dies wird zur Schaffung von Leitmärkten für alles von sauberem Stahl bis zu sauberen Technologien beitragen. Es wird die Planung, Ausschreibung und Genehmigung beschleunigen”, so von der Leyen. Die Strategie solle auch dazu beitragen, die Energiekosten zu senken.
Die vergangene Legislaturperiode stand im Zeichen des sogenannten Green Deals, ein beispielloses Maßnahmen- und Gesetzespaket, das unter anderem für einen drastischen Rückgang der Treibhausgasemissionen sorgen soll. Der Deal umfasst neue Vorgaben in Bereichen wie Energie, Verkehr, Industrie oder Landwirtschaft.
Mehr Personal für Frontex
Zudem schlug von der Leyen einen Ausbau der Grenzschutzbehörde Frontex vor. Die Behörde mit Sitz in Warschau solle künftig 30.000 Beamte haben, erklärte die CDU-Politikerin in ihren am Donnerstag veröffentlichten Leitlinien für die kommenden fünf Jahre. Zuletzt waren 10.000 Beamte bis 2027 vorgesehen. Die Behörde soll nach von der Leyens Angaben zudem mit “modernster Überwachungstechnologie” ausgestattet werden. Sie schlug zudem ein “neues gemeinsames System zur Rückführung” von Einwanderinnen und Einwandern vor und erklärte, die Zusammenarbeit mit “Transit- und Herkunftsländern” vertiefen zu wollen.
Außerdem will die Kommissionspräsidentin weiter auf Abkommen mit Ländern des südlichen Mittelmeerraums setzen. Zuletzt hatte sie Vereinbarungen mit Tunesien und Ägypten geschlossen, damit Migranten nicht in die EU gelangen.