Die deutsche Wirtschaft taumelt abwärts, die Hiobsbotschaften mehren sich. Davon unbeirrt schnellen die Aktienkurse immer weiter empor, der DAX markiert ein neues Rekordhoch. Wie passt das zusammen?

Es scheint paradox: Ausgerechnet heute, da die führenden Wirtschaftsinstitute des Landes ein düsteres Bild von den konjunkturellen Aussichten in Deutschland malen, markiert der DAX ein neues Rekordhoch. Bis auf 19.169 Punkte geht es in der Spitze empor – noch nie in seiner mittlerweile 36-jährigen Geschichte notierte das deutsche Börsenbarometer so hoch.

Allein seit Jahresbeginn steht im DAX ein Plus von über 14 Prozent zu Buche. Anleger, die bereits seit fünf Jahren investiert sind, können sich sogar über Kursgewinne von knapp 55 Prozent freuen. Doch steht das nicht im Widerspruch zur wirtschaftlichen Verfassung des Landes?

Auch 2024 Rezession in Deutschland

Tatsächlich ist es um die deutsche Konjunktur nicht zum Besten bestellt. So haben die führenden Wirtschaftsinstitute des Landes ihre Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung heute erneut abgesenkt.

Statt eines leichten Wachstums um 0,1 Prozent erwarten die Experten im laufenden Jahr nun einen leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,1 Prozent. Die deutsche Wirtschaft bleibt damit in der Rezession gefangen – schon im vergangenen Jahr war das BIP um 0,1 Prozent gefallen.

Negative Konjunkturnachrichten schon “eingepreist”

So verheerend das auch klingen mag: Die Investoren an der Börse lässt das kalt. Dass sich die deutsche Wirtschaft wieder im Schrumpfmodus befindet, ist in den Aktienkursen längst “eingepreist”.

Die Börse schaut nämlich eher auf konjunkturelle Frühindikatoren – und diese haben sehr verlässlich schon vor Monaten angezeigt, dass in der deutschen Wirtschaft einiges im Argen liegt. So war der ifo-Geschäftsklimaindex im August bereits zum dritten Mal in Folge gefallen. Erfahrungsgemäß signalisiert ein dreimaliger Rückgang dieses Frühindikators einen wirtschaftlichen Abschwung.

DAX kein “Spiegel der deutschen Wirtschaft”

Schon seit langem mehren sich die negativen Signale aus der Industrie, die hierzulande mit rund einem Viertel einen enorm hohen Anteil an der Wirtschaftsleistung hat. Dass die deutsche Wirtschaft aller Voraussicht nach auch in diesem Jahr schrumpft, kommt für die Börsen somit keineswegs überraschend.

Nicht zuletzt ist der DAX alles andere als ein “Spiegel der deutschen Wirtschaft”. Die 40 größten börsennotierten Konzerne Deutschlands, die hier versammelt sind, erwirtschaften nämlich nur einen Bruchteil ihrer Erlöse und Gewinne im Inland – entsprechend unabhängig sind sie von der deutschen Konjunkturlage.

EZB dürfte Aktien-Käufern in die Hände spielen

Hinzu kommt: Negative Nachrichten können an der Börse auch gute Nachrichten sein. So ist die schwache Verfassung der deutschen Wirtschaft Wasser auf den Mühlen der sogenannten “Tauben”, also der Anhänger einer lockeren Geldpolitik. In den vergangenen Wochen war an den Geldmärkten die Wahrscheinlichkeit kontinuierlich gestiegen, dass die Europäische Zentralbank schon auf ihrer Sitzung im Oktober, also bereits in drei Wochen, die Leitzinsen in der Eurozone weiter absenken wird.

Und fallende Zinsen sind nun einmal gut für Aktien: Die lockere Geldpolitik drückt nämlich auch an den Finanzmärkten die Zinsen, und das macht Aktien etwa im Vergleich zu Staatsanleihen wieder attraktiver.

Anleger und die Angst, etwas zu verpassen

Jenseits von Zinsen und Geldpolitik – was treibt den DAX aktuell sonst noch an? In der ganz kurzfristigen Betrachtung sind es sicherlich die jüngsten Versuche der chinesischen Zentralbank zur Ankurbelung der Konjunktur, die an den Märkten für Kauflaune sorgen. Darüber hinaus ist aber auch die Angst, etwas zu verpassen, ein wichtiger Grund für das neue Rekordhoch im DAX.

Im Englischen wurde dafür der Begriff FOMO geprägt: “Fear Of Missing Out”. Und diese Angst ist auch an der Börse ein sehr starker Antriebsfaktor menschlichen Handelns. Anleger, die zuletzt noch abwartend an der Seitenlinie standen, fürchten nun, das Beste der Rally zu verpassen. Sie wischen daher ihre Bedenken beiseite und steigen ein – und treiben dadurch die Kurse nur noch weiter in die Höhe.

Erst Crash, dann Allzeithoch

Das hat dazu geführt, dass auch nach Rückschlägen im DAX in den vergangenen Wochen und Monaten die Kurse stets wieder hochgingen: Besonders extrem war das etwa im August der Fall, als der deutsche Leitindex nach einem kleinen Crash eine scharfe V-förmige Erholung hinlegte und nur drei Wochen später höher notierte als zuvor.

Die Chancen auf weitere Kursgewinne stehen nun gut, gilt ein neues Allzeithoch unter Experten doch als eines der besten Kaufsignale. Kurzfristig mahnen einige Fachleute zwar zur Vorsicht: Der DAX sei nach seinem jüngsten raschen Anstieg “überkauft”.

Doch mittel- bis langfristig bleiben die Börsen-Ampeln mit Blick auf die lockere Geldpolitik dies- wie jenseits des Atlantiks auf Grün. Spätestens ab November dürfte dann auch noch Rückenwind von der Saisonalität hinzukommen – dann beginnen nämlich aus statistischer Perspektive die “besten sechs Monate” an der Börse.

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